Dülmen und der Bergbau

Die Dülmener Wirtschaftsstruktur hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt. So ist z.B. von der lange dominierenden Textilindustrie letztlich nur noch der Bendix-Turm am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium als weithin sichtbare Erinnerung übrig geblieben. Oft vergessen wird überdies, dass die Stadt Dülmen lange Zeit wirtschaftlich eng mit dem Bergbau verbunden war.

 

Die Eisenhütte Prinz Rudolph

Die Verflechtung der Dülmener Industrie mit dem Bergbau setzte schon kurz nach Beginn der Industrialisierung ein: Die 1844 – also nur zwei Jahre nach der Unternehmensgründung – an die Dülmener Eisenhütte angegliederte Maschinenfabrik produzierte vor allem Förder- und Dampfhaltungsmaschinen für den Bergbau. Trotz einer zeitweiligen Krise mit der daraus folgenden Entwicklung neuer Produktionszweige stellte noch am Vorabend des Ersten Weltkriegs die Produktion von schweren Bergwerksmaschinen einen Schwerpunkt der Eisenhütte Prinz Rudolph dar, was nach Kriegsende wieder aufgenommen wurde.

 

Dülmener Bergleute zu Beginn des 20. Jahrhunderts und im Ersten Weltkrieg

Neben der Produktion von Maschinen für den Bergbau prägte noch ein anderer Aspekt die enge Verbindung der Stadt Dülmen mit dem Bergbau des nördlichen Ruhrgebiets, der in den Unterlagen des Stadtarchivs immer wieder zu finden ist: In Dülmen lebten nicht wenige Bergleute – und damit hatte sich auch die Dülmener Stadtverwaltung in unterschiedlicher Weise zu befassen.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg war Dülmen – bedingt durch die gute Verkehrsanbindung und den Bahnhof (bzw. zwei Bahnhöfe) – eine ausgewiesene Auspendlerstadt. Den Verwaltungsberichten dieser Zeit zufolge arbeiteten im Jahre 1913 schon 308 Dülmener außer­halb der Stadt, u.a. als Bergleute in Reck­ling­hausen. So hatte sich bereits im Jahre 1904 der Dülmener Bergmanns-Verein „Glück auf“ gegründet, bei dem nach den 1910 genehmigten Statuten jeder Bergmann aus Stadt und Amt Dülmen ab dem Alter von 16 Jahren Mitglied werden konnte.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs brachte diesen außerhalb der Stadt tätigen Bergleuten verschiedene Probleme: In der angespannten Situation vor der Mobilmachung durften sie die militärisch besetzten Eisenbahnlinien nur noch mit Passierschein nutzen – und nach der Mobilmachung diente die Eisenbahnstrecke ins nördliche Ruhrgebiet nun nicht mehr dem Transport von Pendlern zu ihrer Arbeitsstätte, sondern dem Transport von Soldaten. Erst mehrere Woche nach Kriegsbeginn, im September 1914, konnten neue Verbindungszüge nach Recklinghausen für die Bergleute eingerichtet werden. Die Probleme endeten damit jedoch nicht, sondern setzten sich mit der kriegsbedingt schlechten Lebensmittelversorgung fort: Die Dülmener Bergleute konnten mit den von der Stadt Recklinghausen ausgestellten Brotkarten in den ersten Kriegsmonaten nicht bei Dülmener Bäckern einkaufen; erst nachdem der Kreis Recklinghausen den hiesigen Bäckern Mehl zur Verfügung stellte, konnte im Sommer 1915 eine Einigung gefunden werden. Ebenso fielen die Dülmener Bergleute durch das Raster bei der Versorgung der Schwerstarbeiter mit Zusatzrationen an Brot: Die Dülmener Stadtverwaltung hatte auf ihrer Liste nur die hier beschäftigten Arbeiter, nicht die auswärts beschäftigten Bergleute; diese wurden von ihren Arbeitgebern wiederum an ihre Heimatgemeinde verwiesen, bis schließlich im November 1916 eine Lösung gefunden werden konnte. Ebenso verlangte die Stadt Dülmen im Krieg eine Beteiligung der Stadt Recklinghausen an den Schulkosten für die Kinder der auswärts beschäftigten Bergleute.

 

Bergarbeitersiedlungen

Auch in Friedenszeiten befasste sich die Stadtverwaltung mit den Bergleuten, genauer: mit Siedlungen und Wohnungen für Bergarbeiter. Hierzu finden sich im Stadtarchiv Dülmen Pläne aus dem Jahre 1920 sowie Akten aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Als in den 1960er Jahren die Zukunft des Bergbaus im Ruhrgebiet und damit auch der Dülmener Bergleute diskutiert wurde, betonte die Stadt Dülmen, es handle sich bei den hiesigen Bergleuten nicht um nur gelegentlich oder vorübergehend in auswärtigen Bergbaubetrieben arbeitende Personen, sondern „fast ausschließlich um alte, traditionsbewußte Bergarbeiterfamilien, die vor Jahrzehnten im Münsterland als dem natürlichen Einzugsgebiet der Zechen in Marl-Hüls und Recklinghausen angeworben und in neu errichteten Siedlungen, die mit Landesmitteln für den Bergarbeiterwohnungsbau gefördert wurden, in unserer Stadt ansässig geworden sind“.

 

Das Kohleanpassungsgesetz 1968

Von besonderer Bedeutung wurden diese Dülmener Bergleute dann vor 50 Jahren im Zuge des so genannten Kohleanpassungsgesetzes von 1968 zur Unterstützung der deutschen Bergbaugebiete. Schon im Dezember 1967 hatte Stadtdirektor Dr. Lemmen auf die zahlreichen hier ansässigen Bergleute hingewiesen. Eine Abfrage der Daten ergab, dass im Arbeitsamtsbezirk Dülmen (Stadt Dülmen, Amt Dülmen und Amt Buldern) trotz eines deutlichen Rückgangs seit Mitte der 50er Jahre immer noch „etwa 260 auspendelnde Bergleute“ wohnhaft waren. Von diesen arbeiteten viele auf der Zeche Auguste Victoria in Marl. Die Stadt beantragte deshalb im Januar 1968 die Berücksichtigung Dülmens in dem geplanten Gesetz und bat Landes- und Bundespolitiker aus den beiden großen Parteien um Unterstützung. Verwiesen wurde dabei auf den Vorschlag des Bundesrates, auch Gemeinden aufzunehmen, in denen ohne Bergbau am Ort eine größere Zahl von Bergarbeiterfamilien lebten. Angesichts der drohenden Schließung von Bergwerken müssten – wie das Gesetz es beabsichtigte – durch Förderprogramme neue Unternehmen angesiedelt und neue Arbeitsplätze für die Dülmener Bergleute geschaffen werden.

Mit Unterstützung des Oberkreisdirektors, mehrerer Bundestagsabgeordneter und des NRW-Wirtschaftsministers gelang es dann auch, die Interessen der Stadt und der ins Ruhrgebiet pendelnden Dülmener Bergleute zu berücksichtigen: Dülmen wurde als einziger Ort außerhalb des Ruhrsiedlungsverbandes in das Gesetz einbezogen. Dieser Erfolg wurde von den damals durch die Dülmener Zeitung befragten Dülmener Bergleuten dann auch mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen.

 

Nach dem Kohleanpassungsgesetz

Die bereits vor dem Ersten Weltkrieg bestehende Verbindung Dülmens mit dem nördlichen Ruhrgebiet durch die dort als Bergleute tätigen Dülmener dauerte trotz zurückgehender Zahlen auch weiterhin an: Anfang der 1980er Jahre berichtete die Dülmener Zeitung noch über Dienstjubiläen Dülmener Bergleute der Zeche Auguste Victoria. Und im Juni 1997 wurde bei einem Besuch der Dülmener Jusos auf dem Halterner Standort der Zeche Auguste Victoria zwecks Information über Kohlesubventionen darauf hingewiesen, dass sich unter den 4.735 Beschäftigten noch 97 Dülmener befanden.

Wenn es auch in Dülmen selbst keinen Bergbau gegeben hat, so ist aufgrund der vielen in Dülmen wohnenden Bergleute die Geschichte des Bergbaus in Nordrhein-Westfalen auch ein Teil der Dülmener Stadtgeschichte, dem im Stadtarchiv anhand verschiedener Quellen nachgegangen werden kann.


Bestände und Akten:

- Eisenhütte Prinz Rudolph

- SB 41: Statuten des Dülmener Bergmanns-Vereins "Glück auf"

- Stadt Dülmen, Bl 84: Gemeinnütziger Bauverein, 1913-1928.
- Stadt Dülmen, Ca 19: Brotversorgung, 1914-1918; Ca 36: Versorgung der Schwerarbeiter, 1914-1918.
- Stadt Dülmen, D 3366: Bergarbeitersiedlungen, 1954-1960.
- Stadtdirektor Dr. Lemmen, Nr.: Kohleanpassungsgesetz, 1967-1971.
- Amt Dülmen, C 964: Kohleanpassungsgesetz, 1968-1969.