Erster Weltkrieg

  • Mobilmachung, Kriegsbeginn und die ersten Kriegsmonate

    Mobilmachung, Kriegsbeginn und die ersten Kriegsmonate

    Nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaars in Sarajevo am 28. Juni 1914 sorgten die Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli und die ersten Gerüchte über eine deutsche Mobilmachung für eine gewisse Unruhe in Dülmen. Die Dülmener Zeitung berichtete am 1. August: „Kriegserregung: Die wilden Gerüchte, die nun seit Tagen unsere Stadt und allenthalben unser Vaterland in Unruhe versetzen, wollten auch gestern nicht zur Ruhe kommen. Unablässig werden Fragen an uns gerichtet: Hat Deutschland mobilisiert? Ist Frankreich mobil? Hat der Kaiser in Berlin die Mobilmachung angeordnet? […] In den Abendstunden entwickelte sich auf den Straßen ein reges Treiben und in den Wirtschaften kam es wieder zu lebhaften patriotischen Kundgebungen. […] Es regt sich überall der Geist vom Juli 1870. Das heißt: nicht der Geist einer frivolen Angriffslust, sondern die zweifelsfreie Erkenntnis: ‛Wir sind im Recht!’ und der feste Entschluss: ‛Wir halten durch, mag es kommen, wie es will!’ Das beste Mittel, ja das einzig wirksame Mittel zur Vermeidung eines Weltkrieges ist die volle Kriegsbereitschaft von Oesterreich und Deutschland. Dazu gehört nicht bloß die materielle und die technische, sondern auch die moralische Kriegsbereitschaft, und die ist glücklicherweise sowohl in Oesterreich als im verbündeten Deutschland vorhanden.“

    Die wachsende Nervosität zeigte sich auch in Dülmen ganz konkret: Die Sparkasse wurde zunehmend von Bürgern „belagert“, die ihr Geld von den Konten abheben wollten. Eine militärische Einheit bewachte jetzt die Sprengstoff-Fabrik bei Hausdülmen. Ebenso wurden die Eisenbahnlinien militärisch besetzt; die außerhalb der Stadt beschäftigten Bergarbeiter benötigten nun einen Passierschein. In den ersten Kriegswochen durften dann die Bahnverbindungen nur für den Transport von Truppenteilen genutzt werden, worunter die zahlreichen Pendler litten; erst am 9. September 1914 konnten die Bürgermeister von Haltern und Dülmen die Einrichtung von Verbindungszügen nach Recklinghausen erreichen.

    Die Mobilmachung vom 1. August – in der Dülmener Zeitung unter der Schlagzeile „Der Beginn des Völkerringens!“ vermeldet – wurde auch in Dülmen mit begeisterten Kundgebungen begrüßt, ansonsten blieb es jedoch ruhig in der Stadt. In dem das städtische Leben prägenden katholischen Milieu war es selbstverständlich, dass die Reservisten und Landwehrmänner sich nach ihrem Gestellungsbefehl durch den Kirchgang auf ihren Abschied vorbereiteten. Stark beansprucht war nun die Stadtverwaltung durch eine Flut von Zurückstellungsanträgen, Nottrauungen und ähnliche Aufgaben. Auch gab es schon einen Vorgeschmack auf die sich im Krieg extrem verschlechternde Lebensmittelversorgung: Da der Eisenbahntransport sich jetzt auf Militärtransporte beschränkte (und es daneben zu Hamsterkäufen kam), wurden Lebensmittel in Dülmen knapp – und somit teuer. Eine weitere Auswirkung des Kriegsbeginns war der Ausfall des für Anfang August angesetzten Schützenfestes. Am 4. August wurde in Dülmen eine Pferdemusterung durchgeführt, bei der 684 Pferde im Wert von insgesamt 612.000 Mark angeworben wurden. Fünf Gymnasiasten legten ihre Kriegsabiturprüfung ab und meldeten sich als Freiwillige zum Kriegsdienst. Der Männergesangverein Germania spendete dem katholischen Elisabethverein und dem Vaterländischen Frauenverein 60 Mark zur Unterstützung Dülmener Soldatenfamilien. Etwas später beschloss auch der Bürgerschützenverein, mit mehreren hundert Mark diese Familien zu unterstützen.

    Frauen aus der Stadt und Teile der Schuljugend reichten am Bahnhof den durchfahrenden Soldaten Kaffee, Limonade, Butterbrote und Zigaretten. Als Verkehrsknotenpunkt war der Dülmener Bahnhof auch eine wichtige Kommunikations- und Informationsstelle: So berichtete die Dülmener Zeitung am 8. August 1914 ausführlich über die Ankunft von aus Frankreich und Belgien geflohenen Deutschen und Österreichern, die – so hieß es – „über grauenhafte Mißhandlungen erzählten, welche sie in Belgien erduldet hatten“. Nur kurz danach fuhr der erste Transport mit Kriegsgefangenen aus Belgien durch den Dülmener Bahnhof. Das belgische Personal im Schloss des Herzogs von Croy, das Dülmen nicht mehr rechtzeitig verlassen hatte, wurde aufgrund einer Verfügung des Regierungspräsidenten vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen. Im November 1914 erhielt die 1913 gegründete Rieselfeldgenossenschaft 50 französische Kriegsgefangene zum Ausbau der Anlagen; im Dezember wurde mit dem Bau des Kriegsgefangenenlagers bei Hausdülmen begonnen.

    Unter Leitung von Sanitätsrat Dr. Wiesmann wurde am Franz-Hospital zu Kriegsbeginn ein Kurs für Rote-Kreuz-Helferinnen initiiert. Neun Frauen meldeten sich Mitte August zu einem entsprechenden Dienst an der Front.

    Auch Kinderspiele wurden vom Krieg beeinflusst: Die Dülmener Zeitung rief die Eltern auf, ihre Söhne keine Drachen („Windvögel“) mehr steigen zu lassen, um eine Verwechslung mit Luftfahrzeugen zu vermeiden.

    Für die Stadtverwaltung trat mit Kriegsbeginn eine neue vorgesetzte Behörde in Erscheinung: Neben dem Landrat in Coesfeld und dem Regierungspräsidenten in Münster wurde nun der kommandierende General des VII. Armeekorps in Münster zur wichtigsten Befehlsstelle und zum Träger der Polizeigewalt bis 1918.

    Dass man trotz aller Kriegsbegeisterung in Dülmen darauf bedacht war, das Leben, wie man es vor dem Krieg im katholischen Milieu der Stadt mit seinen vielen kirchlichen Gruppen und Vereinen kannte, weiterzuführen, belegt ein Aufruf des katholischen Gesellenvereins gut zwei Wochen nach Kriegsbeginn: Zwar seien „unsere schönen kirchlichen Vereine“ durch die Mobilmachung beeinträchtigt worden. Aber: „Jetzt, wo die aufregenden Tage der Mobilmachung vorbei sind, jetzt muß das Vereinsleben wieder hochgehalten werden, ja jetzt in dieser schweren Zeit erst recht.“

    Etwa zeitgleich mit diesem Aufruf fielen mit dem 1892 geborenen Tischler Bernhard Siever (als Grenadier an der Ostfront in einem Gefecht bei Nausseden in Ostpreußen) und mit dem 1889 geborenen Bürogehilfen Albert Jepkens (als Reservist der Infanterie im Westen bei Mühlhausen) die beiden ersten Soldaten aus Dülmen.

    Die patriotische Stimmung hielt an: Der Einquartierung eines Landwehrbataillons und der Einnahme der Festung Maubeuge in Nordfrankreich am 8. September 1914, wo auch mehrere Dülmener eingesetzt waren, folgte in Dülmen eine „großartige patriotische Kundgebung“.

    Doch schon vor Jahresende musste man feststellen, dass die erste Vorstellung von einem kurzem Waffengang und einem Ende des Krieges vor Weihnachten sich nicht erfüllen sollte. Zugleich führte der große Truppenbedarf zu einer verschärften Musterung aller kriegspflichtigen Männer. 1915 waren von etwa 2.000 männlichen Dülmenern zwischen 18 und 40 Jahren über 700 an der Front. Über 200 – oft recht junge – Soldaten aus der Stadt Dülmen und etwa 140 aus dem Amt Dülmen fielen im Krieg an der Front oder erlagen im Lazarett ihren Verletzungen.

    Anfang 1915 verschärfte sich auch die Versorgungslage – Beginn eines Zustands, der sich in den folgenden Jahren verschlechtern und die Zeit des Ersten Weltkriegs an der „Heimatfront“ und so auch in Dülmen prägen sollte.

     

  • Die Versorgungslage im Krieg

    Die Versorgungslage im Krieg

     

    Wenn auch die Situation in Dülmen und im agrarisch geprägten Münsterland nicht so angespannt wie in größeren Städten oder in den Ballungsräumen war, so war doch die schlechte Versorgungssituation auch hier eines der größten Probleme für die Menschen während des Ersten Weltkriegs. Zwar gab es auch in der Stadt landwirtschaftliche Selbstversorger, dies jedoch meist nur im kleinen Rahmen und nicht in vollem Maße ausreichend. Die Zahlen der Getreideselbstversorger schwankten während des Krieges und widersprechen sich teilweise in den Akten, ebenso jene der Fleischselbstversorger. Der so genannte „Schweinemord“ – die staatlich angeordnete Massenschlachtung – reduzierte auch die Bestände in Dülmen, doch wurden im Jahre 1917 bei einer im Krieg stetig wachsenden Zahl von viehhaltenden Haushalten in der Stadt mehr Schweine gezählt als noch vor dem Krieg. Insgesamt stellte nicht die Versorgung der Bevölkerung i.e.S., sondern die zahlreichen Einquartierungen und die schwierige Situation der (oft außerhalb der Stadt beschäftigten) Schwerstarbeiter die eigentliche Herausforderung dar.

    Schon in den ersten Kriegstagen hatten sich durch Hamsterkäufe und durch die Zurückstellung von zivilen Transporten hinter die Militärtransporte erste Versorgungsengpässe und Preissteigerungen ergeben. Dem versuchten Gesetzgebung und Verwaltung schon früh entgegenzuwirken. So fanden am Dülmener Bahnhof fast täglich Kontrollen statt, um zu überprüfen, ob die von den einzelnen Personen mitgeführten Lebensmittelvorräte wirklich nur den Eigenbedarf deckten oder diesen überstiegen. Konnte nicht nachgewiesen werden, dass die mitgeführten Lebensmittel selbst benötigt wurden, wurde die Ware beschlagnahmt und entschädigungslos zugunsten der Stadtkasse verkauft. Zugleich achtete die Stadtverwaltung auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Festpreise – was den Beschwerden aus der Bevölkerung zufolge aber nicht immer gelang. Auch der Schwarzhandel konnte nicht völlig unterbunden werden. Ebenso gab es oftmals Anzeigen, weil im Einzelhandel wohlhabende Kunden gegen Aufpreis, aber ohne Karten Waren erhielten. Zugleich hielten sich die Einzelhändler nicht immer an die Vorschrift, dass angegeben werden musste, ob es sich bei einer Ware um Ersatzstoffe handelte; um diese betrügerischen Absichten zu unterbinden, führte die Stadtverwaltung Stichproben durch und ließ bei Unkorrektheiten auch eine strafrechtliche Verfolgung in die Wege leiten.

    Steckrüben und Kartoffeln wurden von der Stadtverwaltung direkt an die Bürger und Bürgerinnen verkauft. Nach und nach wurden für immer mehr Produkte Lebensmittelkarten eingeführt, so z.B. Brotkarten im April 1916 und Milchkarten ein halbes Jahr später. Ab 1917 druckte die Stadt daneben noch für zahlreiche andere Produkte Karten, so z.B. neben Lebensmitteln auch für Petroleum, Kohlen und Kleidung.

    Problematisch war die Situation der auswärts in den Nachbarkreisen Recklinghausen und Lüdinghausen beschäftigten Bergleute aus Dülmen, die ihre Brotkarten an ihrem Arbeitsplatz erhielten – und aufgrund der Bestimmung von Mai 1915, dass Dülmener Bäcker Brot nur gegen Dülmener Karten herausgeben durften, an ihrem Wohnort kein Brot kaufen konnten. An ihrem Arbeitsplatz war ihnen dies aufgrund der Ladenöffnungszeiten kaum möglich. Erst drei Monate später konnte das Problem gelöst werden, als der Kreis Recklinghausen den Bäckern im Kreis Coesfeld Mehl zur Verfügung stellte und nun auch die Dülmener Bergleute wieder in Dülmen Brot kaufen konnten. Auch die Kinder der Bergleute wurden zu einem Zankapfel zwischen Dülmen und Recklinghausen; 1916 wurde schließlich vereinbart, dass die Stadt Recklinghausen sich an den Kosten zur Unterstützung dieser Kinder finanziell beteiligte. 1916 und 1917 gab es hier erneut Probleme, weil die Dülmener Bergleute in Dülmen nur die Normalration Brot erhielten, nicht aber die Zusatzration für Schwerarbeiter, da bei den Dülmener Bäckereien nur die in Dülmen beschäftigten Schwerarbeiter aufgelistet waren. An ihrem Arbeitsplatz in Recklinghausen erhielten die Bergleute aus Dülmen ebenfalls die Zusatzration nicht, weil sie dort an ihre Heimatgemeinde verwiesen wurden. So genannte Schwerstarbeiter erhielten die doppelte Ration Brot, mehr Fleisch und Milch sowie Fettzulagen (die sich die in Recklinghausen arbeitenden Bergleute aus Dülmen ebenfalls erst nach 13 Monaten erkämpfen konnten). Die Zahl der in diese Kategorie eingeordneten Beschäftigten war in Dülmen relativ hoch, schwankte aber während des Krieges. Bis 1916 stieg deren Zahl von gut 500 auf über 1.100; 1918 zählte man hier etwa 1.000 Schwer- und Schwerstarbeiter. Hierzu gehörten ebenso Gendarmen, wenn sie regelmäßig Nachtdienst hatten, und teilweise auch Forstarbeiter.

    Neben den Schwerarbeitern im Bergbau gab es eine weitere Gruppe von Beschäftigten mit speziellen Anforderungen in der Lebensmittelversorgung: Die Arbeiter der Sprengstoff-Fabrik in Sythen bei Haltern – darunter knapp 200 Männer aus Dülmen – waren aus gesundheitlichen Gründen besonders auf ihre Milchrationen angewiesen. Auch außerhalb der Industrie waren Folgen des kriegsbedingten Mangels an Milch zu konstatieren: Dieser führte den Angaben des Bürgermeisters zufolge zu einer höheren Säuglingssterblichkeit.

    Die kriegsbedingten Einschränkungen betrafen nicht nur die Lebensmittelversorgung: So wurden zum Beispiel aufgrund von Rohstoffmangel die Seifenrationen für Ärzte und Hebammen reduziert. Und nachdem Ende 1915 zuerst das strafbewehrte Verbot erging, Fahrräder noch zu Vergnügungs- oder Spazierfahrten zu nutzen, mussten 1916 Fahrradbereifungen oder ganze Fahrräder für das Militär abgegeben werden. Nur die Dienstfahrräder von Polizisten und städtischen Beamten durften weiter genutzt werden. Für die Landbevölkerung galten aber Ausnahmen, um Arztbesuche oder Behördengänge zu ermöglichen. Jedoch zeigten Beschwerden des Armeekorps, dass auch in der Stadt Dülmen viele Bürger vorschriftswidrig ihre Fahrräder behalten hatten.

     

  • Kriegswirtschaft

    Kriegswirtschaft

     

    Die in der Stadt Dülmen dominierende Textilindustrie mit mehreren hundert – oft weiblichen – Beschäftigten erfuhr durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs schnell harte Einbußen. Bereits die durch den Vorrang der Militärtransporte entstandenen Transportprobleme im Bereich der Lebensmittelversorgung und der Beeinträchtigung der Pendler trafen auch die heimische Industrie: Bahnladungen mit Textilgütern wurden zugunsten kriegswichtiger Materialien zurückgestellt. So gab es Anfang September durch Garnmangel nicht mehr genug Arbeit für die Beschäftigten. Jedoch gelang es der Firma Bendix, dem größten Arbeitgeber der Stadt, durch die Herstellung von Uniformen die Produktion im Krieg weitgehend aufrecht zu erhalten. Die Weberei Ketteler musste dagegen zeitweise Kurzarbeit anmelden, die Firma Leeser im März 1917 aufgrund von Kohlemangel die Arbeit vorübergehend einstellen. Hatten bei Leeser vor dem Krieg noch etwa 40 Personen gearbeitet, waren es im Juli 1917 nur noch 18 Beschäftigte. Arbeitslosigkeit entstand dadurch jedoch nicht, da die freigesetzten Arbeiter in anderen Betrieben unterkamen. Letztlich kamen die drei – allesamt als kriegswichtig eingestuften – Dülmener Textilbetriebe im Vergleich zur westfälischen Textilindustrie insgesamt aber noch relativ glimpflich durch den Krieg.

    Hart getroffen wurde jedoch das hiesige Baugewerbe, wenngleich es innerhalb einer Branche auch deutliche Unterschiede gab: Zwei der drei Ziegeleien mussten nach dem Bauverbot von 1916 ihre Belegschaften drastisch reduzieren; die Ziegelei Kirschner florierte dagegen aufgrund der Belieferung des Kriegsgefangenenlagers und erhielt kurz vor Kriegsende sogar noch einen eigenen Bahnanschluss. Ähnlich war die Situation in den Dampfsägewerken: Ein Betrieb musste die Belegschaft drastisch reduzieren, ein zweiter konnte die Beschäftigtenzahlen halten, ein dritter die Zahlen durch zahlreiche Aufträge aus dem Militär nahezu verdoppeln. Insgesamt erfuhr das Bauwesen in Dülmen schon direkt mit Kriegsbeginn und lange vor der Verordnung vom 6. Dezember 1916 über den Baustopp an nicht kriegswichtigen Bauten einen Einschnitt. Diese Einstellung des Wohnungsbaus nach Kriegsbeginn führte in den ersten Jahren nach Kriegsende zu einem drastischen Wohnungsmangel in der Stadt. Auch die geplante Zusammenlegung der beiden Bahnhöfe erfolgte deshalb nicht (dies gelang erst 1964). Dagegen verzögerte sich zwar der Bau des Gymnasiums, konnte jedoch als einziges großes Bauprojekt während des Krieges abgeschlossen werden.

    Die (eigentlich auf kirchliche Publikationen spezialisierte) Verlagsdruckerei Laumann profitierte vom Krieg: Kommandanturbefehle des Kriegsgefangenenlagers und andere Bekanntmachungen bescherten diesem Unternehmen eine gute Auftragslage.

    Die zahlreichen Brennereien und Brauereien der Stadt mussten ihre Belegschaft reduzieren oder sogar ihre Arbeit ganz einstellen. Nach der Beschlagnahmung von Dampfmaschinen und Destillationsgeräten durfte letztlich nur noch eine einzige Brennerei ihr Destillationsgerät behalten.

    Die Eisenhütte Prinz Rudolph wurde durch ihre Lieferungen ins Ruhrgebiet ebenfalls als kriegswichtig eingestuft. Da sich in den ersten Kriegsmonaten bis Dezember 1914 die westfälische Roheisenerzeugung halbierte, war anfangs auch dieses Unternehmen in einer schwierigen Situation; doch konnte die Produktion bis Oktober 1918 fast wieder auf den alten Stand gebracht werden. Problematisch war jedoch der durch die Einberufungen zum Kriegsdienst bedingte Arbeitskräftemangel, der nur teilweise durch den Einsatz von Kriegsgefangenen gemildert werden konnte. Die Zahl der Beschäftigten sank von 233 im Jahre 1913 auf 161 im Jahre 1919. Während des Krieges nahm in Deutschland die Zahl der weiblichen Beschäftigten in dieser Branche zu. Für Dülmen liegen hierzu jedoch keine Zahlen vor. Nachweisen lässt sich jedoch, dass hier im Krieg verstärkt jugendliche Arbeiter eingesetzt wurden, die nun auch wie Erwachsene 10 Stunden am Tag sowie ebenfalls samstags und in Nachtschichten arbeiteten.

    Im März 1917 galten 41 von 51 Dülmener Betrieben als kriegswichtig. Insgesamt war die Lage der Dülmener Wirtschaft und der Dülmener Unternehmen im Vergleich zu Westfalen insgesamt relativ gut, wie auch der Bürgermeister nach dem Krieg in seinem Rückblick konstatierte. Schon bald nach dem Krieg konnten die meisten Dülmener Betriebe ihre Vorkriegszahlen wieder erreichen oder übertreffen.

    Auf den städtischen Haushalt wirkte sich der Krieg nur in geringem Maße aus: Das Haushaltsvolumen stieg zwar auch aufgrund der allgemeinen Teuerungsrate an, doch blieb die innere Verteilung der unterschiedlichen Ausgabeposten (s.o.: Personal, Kreisabgabe, Unterhaltung/Reinigung der Straßen, Nebenkassen usw.) bis 1917 in etwa gleich. Erst für 1918 ist ein Rückgang der Anteile für Nebenkassen und Straßenreinigung zu konstatieren. Die steigenden Ausgaben wurden durch neue Steuern (Besitz- oder Kriegssteuer für Personen mit hohem Einkommen) und durch eine Erhöhung der Grundsteuer gedeckt.

     

  • Kirche und katholisches Milieu im Krieg

    Kirche und katholisches Milieu im Krieg

     

    Mag der Erste Weltkrieg auch als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts gelten – in Dülmen blieb die städtische Gesellschaft auch im und nach dem Krieg weiterhin stark vom katholischen Milieu geprägt.

    Dies zeigte sich nicht zuletzt an der Jugendwehr: Auch in Dülmen wurde auf Empfehlung des Regierungspräsidenten von September 1914 eine Jugendwehr zur promilitärischen Erziehung der männlichen Jugendlichen analog zu Unteroffizierschulen gegründet. Zu Beginn wurde die Mitgliederzahl der Dülmener Jugendwehr noch als zufriedenstellend bezeichnet – nicht zuletzt auch deshalb, weil alle Gymnasiasten zum Beitritt verpflichtet wurden. Doch im Frühling 1915 verringerten sich Interesse und Mitgliederzahl zum Leidwesen des sich nun darüber beschwerenden Leiters, des Gendarmen und Domänensekretärs Johannigmann. Mehrere Gründe wurden dafür angegeben: Viele Lehrlinge könnten durch ihre kriegsbedingten langen Arbeitszeiten am Abend und in der Nacht (s.o.) nicht an den Übungen teilnehmen, andere würden von ihren Altersgenossen wegen der Teilnahme an den Übungen der Jugendwehr verspottet. Auch der Aufruf des Magistrats, dass die Nichtteilnahme als Gleichgültigkeit gegenüber dem Vaterland und als Drückebergerei anzusehen sei, hatte offensichtlich kaum Wirkung. Die Schuld sah der Leiter der Jugendwehr vor allem bei den Eltern, die ihren Söhnen die Bedeutung der Teilnahme an der Jugendwehr nicht vermittelten. Der Oberpräsident der Provinz Westfalen sah die Schuld vor allem bei der Kirche, da die Geistlichen öffentlich erklärt hatten, der Besuch der Gottesdienste sei wichtiger als die Teilnahme an den sich mit den Gottesdiensten zeitlich überschneidenden Übungen der Jugendwehr. Ende 1916 legte Johannigmann sein Amt als Leiter der Jugendwehr aus Unzufriedenheit nieder, doch bestand die Jugendwehr in Dülmen noch bis Kriegsende unter Leitung des Turn- und Zeichenlehrers am Gymnasium. Flügel folgerte aus der Situation der Jugendwehr in Dülmen 1990, die „allgemein verbreitete Ansicht, die Jugend zur Zeit des Ersten Weltkriegs habe eine positivere Einstellung zum Militär und zum Kriegsdienst gehabt“ müsse angesichts dieses Umstands „zumindest für die Stadt Dülmen im Ansatz neu durchdacht werden“.

    Der Krieg veränderte bzw. erweiterte die Tätigkeit der Kirche auch in Dülmen, sei es durch Mitwirkung bei der Organisation von Landaufenthalten für Stadtkinder oder durch Spendensammlungen für Soldaten. Auch der Kirchenbesuch der Gläubigen nahm zu.

    Wichtigstes Thema dieser Zeit war jedoch ein Problem, das die Katholiken in Dülmen und die Kirchengemeinde St. Viktor schon Jahre vor dem Krieg beschäftigt hatte und erst in den 1930er Jahren gelöst werden sollte: der Bau einer zweiten Kirche, was durch die Größe der Gemeinde – im Jahre 1915 etwa 12.000 Mitglieder in Stadt und Amt – unbedingt erforderlich erschien. So wurde auch im Herbst 1914 wie schon häufig zuvor über den Raummangel in der Kirche geklagt. Im ersten Kriegsjahr kam es zu einem regen Schriftverkehr zwischen Dülmen und Münster, in dem es um die Auswahl eines geeigneten Grundstücks für das gewünschte Kirchengebäude ging. Von den drei möglichen Grundstücken kamen schließlich zwei in die engere Auswahl. Allerdings scheint es hier zu Unstimmigkeiten gekommen zu sein: Justizrat Schmidt, Mitglied des Kirchenvorstands von St. Viktor, beschwerte sich bei der Regierung in Münster darüber, dass das Generalvikariat einen seiner Ansicht nach ungeeigneten Bauplatz an der Münsterstraße bevorzuge, während seiner Ansicht nach aufgrund der zu erwartenden Stadtentwicklung ein Grundstück in einem anderen Teil der Stadt gewählt werden solle. Da jedoch die Stadtverwaltung mit der Bauplatzwahl des Generalvikariats an der Münsterstraße einverstanden war, wies die Regierung diese Beschwerde zurück. Die schwierige wirtschaftliche Situation im Krieg verhinderte aber dann die Umsetzung. Schließlich wurde erst zwei Jahrzehnte nach Kriegsende, im November 1938, auf dem 1809 angelegten Friedhof an der Lüdinghauser Straße als zweite katholische Kirche in Dülmen die Kreuzkirche eingeweiht.

    Als schmerzhaftester Einschnitt wurde von der Kirche jedoch sicherlich der Abtransport der Glocken und von Orgelpfeifen im September 1917 empfunden.

    Für die kleine evangelische Gemeinde waren im Krieg keine besonderen Vorkommnisse zu melden. Der Bürgermeister berichtete, während des Krieges seien die Unterschiede zwischen den Konfessionen geschwunden – ob dies aber von Dauer war oder überhaupt der Realität entsprach, kann bezweifelt werden, da die gegenseitigen konfessionellen Vorbehalte auch in Dülmen erst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit der allmählichen Auflösung des katholischen Milieus und der ökumenischen Öffnung langsam überwunden wurden.

    Für die jüdische Gemeinde stellte wohl die Auflösung der schon vor dem Krieg wegen der geringen Schülerzahl von der Schließung bedrohten jüdischen Volksschule 1916 den größten Einschnitt dieser Zeit dar. Daneben ist in den Quellen nur ein kriegsbedingtes Problem der jüdischen Gemeinde erkennbar: 1917 wandte sich der Synagogenvorstand an die Stadtverwaltung und wies angesichts der eingeschränkten Brotversorgung auf die Notwendigkeit des Mazzebrots für das Passahfest hin – was die Stadt auch im Sinne der jüdischen Gemeinde regeln konnte. Auch aus Dülmen stammende Juden leisteten ihren Dienst an der Front. Hermann Leeser (der sich im November 1938 das Leben nehmen sollte) und Paul Heymann wurden zu Offizieren ernannt, verschiedene Auszeichnungen erhielten der aus einer alteingesessenen Viehhändlerfamilie stammende Veterinär Dr. Leo Pins (der Vater des Künstlers Jacob Pins), Assistenzarzt Max Baumgarten (der vor Kriegsbeginn nach Berlin verzogen war), die Unteroffiziere Alfred und Eugen Leeser, Feldwebel Max Bendix, Wehrmann Julius Bendix, Musketier Otto Goldschmidt und der Telephonist Adolf Pins. Ihr Leben ließen Otto Goldschmidt, Alfred Leeser sowie die Brüder Max und Julius Baumgarten.

     

  • Die Schulen im Krieg

    Die Schulen im Krieg

    Das schulische Leben änderte sich schnell mit Kriegsbeginn. Ältere Schüler wurden freigestellt, um bei Erntearbeiten die als Soldaten eingezogenen Arbeitskräfte zu ersetzen. Im Herbst 1916 wurden für die Mitarbeit der Schüler bei der Kartoffelernte die Herbstferien verlängert. Im folgenden Winter wurde zur Einsparung von Heizmaterial die Schließung der Schulen für mehrere Wochen verordnet. Das neue Gymnasium konnte zwar trotz kriegsbedingter Verzögerung 1916 das Schulgebäude beziehen, doch wurde die Schule durch die Unterbringung von Kriegsgefangenen in der Turnhalle und von Wachmannschaften in zwei bereits 1915 fertiggestellten Klassenzimmern belastet. Viele Abiturienten gingen an die Front, zwölf von ihnen ließen dort ihr Leben. 1918 bestand die Abschlussklasse des Gymnasiums aus nur noch drei Schülern. Nach dem Krieg legten 39 Schüler im Jahre 1919 in so genannten Kriegsreifeprüfungen ihr Abitur ab. Auch Lehrer wurden eingezogen. Gerade hier waren – im Gegensatz zu Beamten der Stadtverwaltung oder zu den Arbeitern in kriegswichtigen Betrieben – die Gesuche um Zurückstellung wenig erfolgreich, denn es galt als recht einfach, eine Vertretung zur Aufrechterhaltung des Unterrichts zu finden.

    Der Krieg hinterließ so auch in den Chroniken der Volksschulen auf dem Lande seine Spuren, die verschiedene Aspekte des Krieges beleuchten:

     „Jetzt tritt die Schule in das Zeichen des Krieges ein. Der Unterricht wird auf die Tagesereignisse zugespitzt. Die Mädchen müssen ihre Zeit für Soldatenliebesgaben opfern, besonders die vom Amt gelieferte Wolle zu Strümpfen, Kniewärmern verarbeiten.“

    „In der letzten Woche des Monats November fand im ganzen Amte Dülmen und somit auch in Dernekamp eine Geldsammlung zu Liebesgaben für die aus dem Amte Dülmen im Felde stehenden Krieger statt.“

    „Am 12. Dezember wurde Lehrer Zumegen aus Weddern zum Heeresdienst einberufen.“

    „Am 11. März fand wieder eine patriotische Kundgebung statt.“

    „6. Juli 15. Lichtbildvortrag im Limberg’schen Saale in Dülmen. Teilnahme der Schulen von Stadt und Land auf Anordnung der Königlichen Regierung. – Kriegsbilder, das Leben unserer Soldaten im Felde darstellend, wurden vorgeführt. Der Ertrag war fürs Rote Kreuz.“

    „18. Oktober 15. Es wurde mit den Kindern das glänzende Ergebnis der 3. Kriegsanleihe, 12 Milliarden und 30 Millionen (12030000000) Mark und seine Bedeutung für die Kriegsführung besprochen; darauf war schulfrei.“

    „Da der Krieg der Landwirtschaft zahlreiche Arbeitskräfte entzogen hatte, wurde es immer notwendig, dass Schulkinder auch während der Schulstunden zu Arbeiten auf dem Felde verwandt werden mussten.“

    „Die Ober- und Mittelklasse ist bis zum 1. Mai beurlaubt, da ihre Beihilfe für den Ackerbau dringend notwendig geworden ist; denn trotz der Heranziehung französischer Kriegsgefangener sind die Arbeitskräfte arg zusammengeschmolzen.“

    „Infolge des Mangels an landwirtschaftlichen Arbeitern wurde den Schulkindern während der Saat- und Erntezeit bereitwilligst Urlaub erteilt.“

    „Da die Lebensmittelknappheit immer stärker um sich greift, wird in diesem Jahr insbesondere auf die gute Einbringung der Kartoffel Gewicht gelegt. Dieserhalb sind die Herbstferien um 3 Wochen verlängert worden.“

    „Am 17. Dezember war die Lehrerin zur Seelenmesse des gefallenen Collegen Drees beordert; der Unterricht fiel aus.“

    „Am 15. September starb auf dem Felde der Ehre der liebe Kollege Josef Strothmüller.“

    „Auch in diesem Jahr beteiligten sich die Kinder an allen kriegswirtschaftlichen Sammlungen.“

    „27. Januar 1918: Feier des Geburtstages Seiner Majestät. […] In der Festrede wies die Lehrerin die Aufforderung des Präsidenten Wilsons, unserem Kaiser untreu zu werden, entrüstet zurück und ermahnte die Kinder zur Treue gegen Kaiser und Reich.“

     

  • Landaufenthalt für Stadtkinder

    Landaufenthalt für Stadtkinder

    Ebenfalls in Schulchroniken erwähnt wurde der Aufenthalt von auswärtigen Stadtkindern auf dem Land. Besonders zahlreich waren diese hier jedoch nicht. Auch wurde das 1916 ins Leben gerufene Programm hier erst 1917 umgesetzt, und zwar durch den Caritas-Verband und das katholische Pfarramt. Bemerkenswert ist aber, dass Dülmen nicht nur als immer noch ländliche Stadt Kinder aus größeren Industriestädten aufnahm, sondern als kleine Industriestadt selbst auch Kinder an andere Orte verschickte: Im Mai 1917 wurden in der Stadt Dülmen acht Kinder aus dem Kreis Recklinghausen aufgenommen und gleichzeitig 53 Kinder aus der Stadt in den umliegenden Orten und Bauerschaften untergebracht. So kam hier der Doppelcharakter Dülmens als Agrar- und zugleich Industrieort zum Tragen. Die Bereitschaft zur Aufnahme auswärtiger Kinder war in Dülmen aber sehr gering. Im Jahre 1918 – als sich 12 auswärtige Kinder in Dülmen aufhielten und 40 Dülmener Kinder in den umliegenden Gemeinden untergebracht waren – erklärte sich keine Dülmener Familie mehr dazu bereit. Auch dem Roten Kreuz und dem Dülmener Frauenverein gelang es nicht, dafür wieder Bereitschaft in Dülmen zu wecken.

  • Spenden und Materialabgaben

    Spenden und Materialabgaben

     

    Spendensammlungen gehörten auch in das schulische Leben der Kriegszeit und wurden deshalb ebenfalls häufig in den Schulchroniken erwähnt, so z.B. als „Tätigkeit der Schulkinder Dernekamp pro patria“. Hierzu gehörten sowohl Materialsammlungen als auch Einsätze zur Zeichnung von Kriegsanleihen. Neben Schulen und Kirchen führten auch die Frauenvereine Geldsammlungen durch. Eindrucksvoll war in Dülmen das Ergebnis der Ludendorffspende 1918. Die erste Sammlung im Frühjahr erbrachte fast 11.000 Mark. Bei der Herbstsammlung zeichnete sich jedoch wohl durch die Kriegsmüdigkeit ein Rückgang der Spendenbereitschaft ab, die in Dülmen während des Krieges bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgenommen hatte. Nachdem die Betriebsleitungen signalisiert hatten, dass sie zu keinen größeren Spenden mehr bereit seien, reagierte die Stadtverwaltung, indem sie das direkte Gespräch mit den Betriebsleitungen suchte – mit Erfolg: Wieder kamen in Dülmen über 10.000 Mark zusammen, während in Haltern und Coesfeld nur 4.700 bzw. 7.000 Mark verzeichnet werden konnten. Das Dülmener Ergebnis nahm der Landrat entsprechend mit großem Lob zu Kenntnis. Einen recht großen Betrag spendete der Herzog von Croy, was die Stadtverwaltung zuerst in ihrem internen Vermerk verzeichnete – was aber offensichtlich aufgrund der Ereignisse in der Novemberrevolution nur kurz darauf vom Bürgermeister wieder gestrichen wurde.

    Das Schloss des Herzogs war im Krieg als einziger Haushalt von den Kupferabgaben verschont geblieben: Wie der Bürgermeister im Februar 1919 mitteilte, waren im Krieg alle Materialien aus Kupfer abgegeben worden – bis auf die Dachrinnen des in den 1830er Jahren errichteten herzoglichen Schlosses, die aufgrund des Alters von über 50 Jahren der Beschlagnahmung entkommen waren.

     

  • Versorgung der Armen und der Kriegerfamilien

    Versorgung der Armen und der Kriegerfamilien

    In der eigentlichen Armenunterstützung ergaben sich für die Stadtverwaltung zumindest etatmäßig keine größeren Veränderungen. Die leichte Zunahme des Etats lag im Rahmen der üblichen Teuerung. Die Sorge für die Kriegerfamilien und die Kriegsgeschädigten fiel nicht in diesen Etat, sondern wurde gesondert behandelt. Zwar konnten auch die Kriegerfamilien auf Teile der herkömmlichen Armenfürsorge wie Lebensmittel- oder Brennholzspenden von Unternehmern und Grundbesitzern oder auch auf die Armenspeisung zurückgreifen, doch war die Unterstützung der Kriegerfamilien weit umfassender. Schon zu Beginn des Krieges ließ die Stadt öffentlich bekannt machen, dass sie die Familien eingezogener Soldaten sowohl finanziell als auch durch die Bereitstellung von Arbeitskräften unterstützen werde. Den staatlichen Gesetzen zufolge galt dies nur, wenn der Familienvater als Ernährer eingezogen wurde, nicht im Falle eines eingezogenen Sohnes. Jedoch war die Dülmener Stadtverwaltung bereit, in schweren Fällen auch Familien mit einem eingezogenen Sohn zu unterstützen. Bei gleich mehreren eingezogenen Söhnen, was in Dülmen mindestens 30 Familien traf, war durch eine andere Regelung ohnehin eine Unterstützung verpflichtend. Der genaue Anteil des städtischen Anteils an diesen finanziellen Aufwendungen lässt sich aus der Aufstellung des Stadtkassenetats nicht genau feststellen; da 50% jedoch vom Staat übernommen wurden und die andere Hälfte größtenteils aus Stiftungen und Spenden kam, dürfte er eher gering veranschlagt werden.

     

  • Freizeit: Vereinsleben und Gaststätten im Krieg

    Freizeit: Vereinsleben und Gaststätten im Krieg

     

    Schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn hatte der katholische Gesellenverein dazu aufgerufen, auch im Krieg das Vereinsleben – v.a. der kirchlichen Vereine – nicht einschlafen zu lassen (s.o.). In der Tat wurde das Vereinsleben in Dülmen durch den Krieg zwar beeinflusst und erschwert, aber nicht vollständig zum Erliegen gebracht. Gerade das kirchliche Vereinswesen spielte in der vom katholischen Milieu geprägten Stadt weiterhin eine wichtige Rolle. Das Rote Kreuz und der Kriegerverein gewannen durch den Krieg ohnehin an Bedeutung. Der Bürgerschützenverein stellte seine Tätigkeiten während des Krieges jedoch komplett ein: Das Schützenfest Anfang August 1914 wurde abgesagt. Die einzig dokumentierte Aktion des Vereins während des Krieges ist eine Spende von 700 Mark an die Kriegsteilnehmer wenige Tage später (wie der Bürgermeister später den Dülmener Vereinen überhaupt eine große Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung von Kriegerfamilien bescheinigte); dann schweigen hier das Protokollbuch und die Lokalpresse für mehrere Jahre. Auch für den Sportverein Westfalia sowie für den Sängerbund und den Gesangverein Loreley finden sich während des Krieges keine Zeitungsartikel. Der Chor Germania und der Männergesangverein blieben jedoch aktiv und organisierten Wohltätigkeitskonzerte für Soldaten und Kriegerfamilien. Ebenso hielten die katholischen Gesellen- und Arbeitervereine sowie die Landwirtschafts- und Tierzuchtvereine ihre Tätigkeit aufrecht.

    Zur Geselligkeit in der Freizeit gehörten natürlich auch die Gaststätten, die es in Dülmen in vergleichsweise großer Zahl (über 40) gab. Der erste Einschnitt war die Verlegung der Sperrstunde auf 23 Uhr, die der Bürgermeister jedoch für zehn von diesen auf 1 Uhr, für drei Gaststätten in Bahnhofsnähe sogar ausnahmsweise auf 1:30 Uhr genehmigte. Dies wurde vom Landrat Ende 1914 kritisiert, der daneben zugleich bemängelte, dass sich auch die anderen Gastwirte in Dülmen kaum an die vorgeschriebene Sperrstunde hielten. Der Bürgermeister begründete seine Entscheidung mit der hohen Zahl der Gaststätten und dem daraus resultierenden Konkurrenzdruck. Konsequenzen scheint die Kritik des Landrats nicht gehabt zu haben. Danach wurde in Dülmen während des Krieges offensichtlich nur noch einmal im November 1916 ein Wirt wegen eines Verstoßes gegen die Sperrstunde angezeigt, doch hatte auch dieser Vorfall keine Folgen.

     

  • Die Situation der in Dülmen wohnhaften Ausländer

    Die Situation der in Dülmen wohnhaften Ausländer

    Nach der deutschen Kriegserklärung an Russland und der daraus resultierenden Überprüfung russischer Staatsangehöriger wurden am 23. August 1914 in Dülmen fünf russische Männer und eine russische Frau gezählt – eine Zahl, die während des Krieges gleich bleiben sollte. Auch die beiden Belgier, die beim Herzog von Croy beschäftigt waren und zu Kriegsbeginn vorübergehend in Schutzhaft genommen wurden, blieben danach in Dülmen. Zwar ging nach dem Befehl vom 10. November 1914 zur Ausweisung aller Personen aus dem feindlichen Ausland die Zahl der in Dülmen gemeldeten Ausländer von 68 auf 20 zurück, doch stieg sie einer undatierten Liste von 1915 zufolge etwas später schon wieder an: 13 Niederländer, neun Österreicher, sechs Russen und ein britischer Staatsbürger. Die beiden genannten Belgier tauchten in dieser Liste aus unbekannten Gründen nicht auf, doch ist deren weitere Anwesenheit in Dülmen aus anderen Unterlagen belegt. Bei einzelnen Ausländern – einem Russen und einem Briten – gab es offensichtlich den Wunsch nach einer Einbürgerung, was im Krieg jedoch nicht möglich war. Besonders das persönliche Schicksal des britischen Staatsbürgers ist in den Akten gut dokumentiert: Als Sohn eines englischen Vaters und einer deutschen Mutter wurde diesem erst bei Kriegsbeginn wirklich bewusst, dass er trotz seines eigenen Empfindens als Dülmener in Deutschland ein Ausländer war. Er zeigte sich bereit, im Falle seiner Einbürgerung als Soldat für Deutschland in den Krieg zu ziehen, doch der Wunsch nach einer Einbürgerung wurde ihm nicht erfüllt – er galt auch noch im Herbst 1918 als Person aus dem feindlichen Ausland.

     

  • Das Kriegsgefangenenlager bei Hausdülmen

    Das Kriegsgefangenenlager bei Hausdülmen

    Nicht zu den regulär gemeldeten Ausländern gehörten die zahlreichen Kriegsgefangenen. Schon zu Beginn des Krieges, als die ersten Züge mit Kriegsgefangenen aus Belgien und Frankreich durch den Dülmener Bahnhof rollten, teilte das Kriegsministerium mit, dass es ein Gefangenenlager in der Nähe von Dülmen plane. Auf einem vom Herzog von Croy gepachteten Gelände bei Hausdülmen wurde so im Dezember 1914 mit dem Bau eines Lagers begonnen. Im Januar 1915 trafen die ersten französischen Kriegsgefangenen ein. Auf dem durch Gräben entwässerten und mit einem Sondergleis an den Sythener Bahnhof angebundenen Gelände wurde eine komplette Infrastruktur errichtet: Baracken für die Unterbringung der Gefangenen, Gebäude für die deutschen Wachmannschaften, eine Kirchenbaracke, eine zu einem Theater umgebaute Baracke (in dem zahlreiche Aufführungen der Gefangenen stattfanden), eine Sportanlage, eine Schreinerei, eine Holzschuhwerkstatt, Gebäude zur Lebensmittelversorgung, eine Poststelle, ein Lazarett und eine Pumpstation zur Wasserversorgung. Für die Versorgung mit Strom war ebenfalls gesorgt. Auch im Lager sollte militärische Disziplin herrschen, was bei dem „Völkergemisch“ aber nicht immer der Fall war. Die schlechte Ernährungssituation wirkte sich auch auf das Kriegsgefangenenlager aus: Die ersten Jahre gab es dort nur sehr wenige Todesfälle, im so genannten ‛Steckrübenwinter’ wurden jedoch viele Todesfälle – größtenteils Russen – mit der Ursache „Entkräftung“ verzeichnet. Die meisten Toten aus den westlichen Ländern überführte man bald schon in deren Heimat. Der Lagerfriedhof mit überwiegend russischen Toten wurde schließlich 1967 auf eine Fläche hinter den Hausdülmener Friedhof verlegt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Lager als Heimkehrerlager für deutsche Soldaten genutzt.

    Mit dem Lager selbst kamen die Dülmener kaum in Kontakt. Allerdings gab es das „Arbeitskommando Gymnasium“ mit Kriegsgefangenen, die nicht im Lager selbst, sondern in der Stadt als Arbeitskräfte eingesetzt und deshalb im gerade erbauten Gymnasium bzw. in dessen Turnhalle untergebracht wurden. Diese Gefangenen waren zuerst zu Arbeiten für die Rieselfelder und für die Kanalisation eingesetzt. Nachdem die Heeresverwaltung jedoch verboten hatte, Kriegsgefangene für nicht als kriegswichtig angesehene gemeinnützige Arbeiten heranzuziehen, wurden die Gefangenen auf Firmen und landwirtschaftliche Betriebe verteilt. Im November 1917 arbeiteten 76 Gefangene in 15 Dülmener Industriebetrieben und 52 Gefangene bei 21 Bauern. Auch wenn diese Kriegsgefangenen sich – zum Teil aufgrund der Nachlässigkeit mancher Hilfsbewacher – recht frei bewegen konnten, blieb die scharfe Trennung zur Dülmener Bevölkerung bestehen: Im Gegensatz zu anderen Orten finden sich hier in den Unterlagen keine Beschwerden bzw. Hinweise zu Beziehungen mit einheimischen Frauen oder zu einem vertrauten Umgang mit einheimischen Kindern.

    Im Jahre 1999 führte der Dülmener Lehrer Rudolf Hermanns mit Schülern und Schülerinnen der Johann-Gutenberg-Hauptschule archäologische Grabungen auf dem Gelände des alten Kriegsgefangenenlagers durch. Durch die Funde – u.a. Essbesteck, Glasflaschen und Keramik – wurde so ein detaillierteres Bild über das Leben im Lager ermöglicht.

    Weitere Informationen

     

  • Lazarett und medizinische Versorgung

    Lazarett und medizinische Versorgung

    Das kurz vor dem Ersten Weltkrieg Krieg umgebaute und erweiterte Franz-Hospital erfuhr im Laufe des Krieges neue Herausforderungen durch seine Funktion als Reservelazarett. So wurden die Clemensschwestern nun durch Rot-Kreuz-Schwestern, die hiesigen Ärzte durch zusätzliche Lazarettärzte des Heeres unterstützt. Die Feuerwehr übernahm den Transport vom Bahnhof zum Krankenhaus. Das kirchliche Kuratorium behielt aber auch während des Krieges die Leitung über die Einrichtung. Im September 1918 zählte man 281 Patienten, darunter 163 Militärangehörige. Auch manche Dülmener Soldaten wurden nach einer Verwundung in das Lazarett ihrer Heimatstadt verlegt.

     

  • Militär in der Stadt

    Militär in der Stadt

     

    Neben Kriegsgefangenen und Verwundeten stellten im Krieg auch reguläre Soldaten eine neue – und zahlreiche – Personengruppe in Dülmen. Deren Zahl wurde letztlich als so hoch empfunden, dass Dülmens Bürgermeister nach dem Krieg feststellen konnte: „Dülmen glich während des Krieges oftmals einer Garnisonsstadt.“

    Nachdem vor dem Krieg nur vereinzelt Soldaten in Dülmen einquartiert wurden, so 1910 20 Personen, wurde im Juli 1914 die „Bequartierungsfähigkeit“ der Stadt mit 2.887 Mann in normalen bzw. 5.000 Mann in engen Quartieren angegeben. Bereits am 28. Juli wurde in Dülmen ein Infanterie-Regiment von etwa 1.000 Mann auf dem Weg nach Münster zur Kaiserparade untergebracht. Für die von nun an nicht mehr abbrechenden Einquartierungen lassen sich Dülmens Lage an der Aufmarschstrecke Hamburg-Köln, die Kreuzung zweier Bahnlinien, der Truppenübungsplatz im nahen Haltern und das Kriegsgefangenenlager bei Hausdülmen als Gründe angeben. Offiziere wurden meist in Privathaushalten, die Mannschaften in Lagerhallen und Schulen untergebracht. Die größte Einquartierung erfolgte im Mai und Juni 1917 mit der Unterbringung von 58 Offizieren und 1.850 Mannschaftssoldaten für 46 Tage.

    Für die Stadt stellte dies eine große Herausforderung dar, nicht nur wegen des Diebstahls oder der Zerstörung von Einrichtungsgegenständen, was zu zahlreichen Beschwerden führte. Vor allem die Versorgung der Truppen erwies sich aufgrund des Mangels an Lebensmitteln und Rohstoffen als schwierig. Jedoch konnte 1915 vereinbart werden, dass die Dülmener Bäcker, die mit der Belieferung der Truppen beauftragt waren, alle dafür erforderlichen Rohstoffe geliefert bekamen.

    Nicht zuletzt aufgrund dieser zahlreichen in Dülmen einquartierten Soldaten bildete sich auch hier gegen Kriegsende am 9. November 1918 ein Soldatenrat, der nach einer Erweiterung als Arbeiter- und Soldatenrat für einige Wochen die Geschicke der Stadt mitbestimmte.

     

  • Kriegsende und Novemberrevolution

    Kriegsende und Novemberrevolution

    In Dülmen, wo seit dem 4. November 1918 eine Kompanie des VII. Armeekorps mit etwa 1.500 Soldaten einquartiert war, schienen sich am 8. November erste Anzeichen einer beginnenden Unruhe bemerkbar zu machen. Den Quellen zufolge bildete sich am 9. November auch hier ein Soldatenrat, der am Tag darauf nach dem Anschluss einer Gruppe gewerkschaftsnaher Dülmener als Arbeiter- und Soldatenrat erstmals mit einer Bekanntmachung an die Öffentlichkeit trat. Größere Auswirkungen oder wirklich revolutionäre Verhältnisse ergaben sich daraus aber für Dülmen nicht; allerdings herrschte für die nächsten Wochen ein äußerst angespanntes Verhältnis zwischen dem Arbeiter- und Soldatenrat einerseits und Bürgermeister, Magistrat und Stadtverordnetenversammlung andererseits, bis sich schließlich ab Januar 1919 die Situation in Dülmen wieder allmählich normalisierte.

    Eine bedeutende Auswirkung hatte die angespannte, leicht revolutionäre Stimmung am 9. November jedoch in Dülmen: Nach Aufkommen des Gerüchts, dass Soldaten vor dem herzoglichen Schloss gegen die Privilegien des Herzogs von Croy demonstrieren wollten, schien der Herzog einen gewaltsamen Angriff auf sein Schloss wie in der Märzrevolution 1848 zu befürchten. Deshalb bat Herzog Carl Rudolf von Croy den Bürgermeister um eine Unterredung, bei der er rückwirkend auf die Steuerfreiheit verzichtete und sich zugleich bereit erklärte, seinen mehrere Jahre zuvor unter Protest der Bevölkerung geschlossenen Wildpark wieder öffentlich zugängig zu machen. So konnte der Bürgermeister kurz darauf der Dülmener Bevölkerung mitteilen, dass der Herzog nun „als Mitbürger im wahrsten Sinne des Wortes an­erkannt werden müsse“. Der Standesherr als Nachkomme früherer Landesherren aus dem französischen Hochadel war so mit dem Ende des Krieges zum Bürger geworden.

    Mag der Erste Weltkrieg auch als "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" gelten - für Dülmen ist in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ein hohes Maß an Kontinuität zur Zeit vor 1914 zu konstatieren, sowohl gesellschaftlich als auch politisch: Viele der am Vorabend des Krieges verhandelten Themen der Kommunalpolitik wurden auch in den ersten Jahren der Weimarer Republik noch diskutiert. Vor allem aber arrangierte sich das katholische Milieu schnell mit den neuen Verhältnissen (so sah der Katholische Lehrerverein in Dülmen wenige Tage nach Ausrufung der Republik im November 1918 in der Revolution trotz einer gewissen Skepsis auch ausdrücklich positive Aspekte) und blieb nicht zuletzt in Gestalt der katholischen Zentrumspartei prägendes Element der Stadt, wie die Ergebnisse der ersten Nachkriegswahlen (nun mit Wahlrecht auch für Frauen) des Jahres 1919 zeigten.

    So mag der Erste Weltkrieg – an den in Dülmen das 1925 errichtete Kriegerdenkmal neben dem Rathaus erinnert – zwar als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ gelten und mit seinen Auswirkungen auf zahlreiche Aspekte des städtischen Lebens als wichtige Episode auch der Dülmener Stadtgeschichte gesehen werden. Weitaus stärker in das kollektive Bewusstsein der Stadt eingeprägt und sich als harter Einschnitt der Stadtgeschichte gezeigt hat sich jedoch der Zweite Weltkrieg: Mit einer nahezu kompletten Zerstörung der Stadt durch Bomben im März 1945 ging das ‛alte Dülmen’, das den Ersten Weltkrieg unbeschadet überstanden hatte, innerhalb weniger Stunden vollständig verloren, woraus in einem langen städtebaulichen und gesellschaftlichem Wiederaufbau das ‛neue Dülmen’ entstand. So befindet sich an dem Ehrenmal von 1925 für die Gefallen des Ersten Weltkriegs, das im Gegensatz zu den umstehenden Gebäuden der Altstadt die Bombenangriffe von 1945 recht unbeschadet überstand, seit 1995 auch eine Bronzeskulptur, die an die Zerstörung Dülmens im Zweiten Weltkrieg erinnern soll. 

     

  • Quellen

    Quellen

     

    - Stadt Dülmen, By 110-120 und By 197-208 (Kriegsgefangenenlager)

    - Stadt Dülmen, Ca 1-53

    - Dülmener Zeitung

    - Plakatsammlung

    - Nachlass Hölscher (Feldpostbriefe)

    - Festschrift zur Enthüllung des Kriegerdenkmals für Stadt und Amt Dülmen, hg. v. Heimatverein, Dülmen 1925.

     

    Zum Kriegsgefangenlager vgl. auch: Rudolf Hermanns, Kriegsgefangene im Weltkrieg - Das Lager Dülmen, in: Reinhold Weitz (Red.), Das Jahr 1914 - Deutsch-französische Partnerstädte erinnern an den Ersten Weltkrieg, Weilerswist 2015, S. 153-168.